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Wonder Boys

-- Ungebührliche Aufforderung zum Drogenkonsum? --

Szene aus Wonder Boys

Info über Wonder Boys (USA 2000)

Regie: Curtis Hanson

Darsteller: Michael Douglas, Tobey Maguire, Katie Holmes, Frances McDormand, Robert Downey Jr., Rip Torn

Inhalt: Der abgehalfterte Schriftsteller und Professor Grady Tripp verbringt einige Zeit mit seinem sonderbarsten Schüler.

Kritik: Laut offiziellen "Glaube keinen nicht selbst gefälschten"-Statistiken geht der durchschnittliche Deutsche nicht öfter als zwei- oder dreimal pro Jahr ins Kino. Es ist mir zwar ein Rätsel, wie kleinere und unbekanntere Filme so überhaupt je einen Besucher anlocken können, aber als praktische Folge dieser Zahlen vermeide ich den Kinobesuch zu stark frequentierten Zeiten, da dann die Gefahr am größten ist, auf besonders entartete Exemplare der Gattung "seltener Kinogänger" zu treffen.
Leider, und nach dieser Einleitung muß natürlich ein "leider" kommen, leider habe ich diesen Grundsatz, einer Einladung von Freunden folgend, beim Besuch von Wonder Boys ausnahmsweise über Bord geworfen. Und prompt war das Kino voll von Menschen, die offenbar noch nie in ihrem Leben eine Komödie gesehen hatten (ich frage mich manchmal, wie ein Mensch vom Anfang oder aus der Mitte des 20. Jahrhunderts auf einen modernen Kinofilm reagieren würde; das Verhalten der "seltenen Kinogänger" ist zumindest eine Annäherung...), so sehr lachten sie selbst bei Stellen, die höchstens für ein Schmunzeln gut waren. Auch die seit Monaten gezeigten Werbespots waren manchen Lachenden noch unbekannt - zum Glück blieb der Vorhang in der kurzen Pause nach der Werbung offen, so daß niemand den unvermeidlichen "Jetzt ist der Film zu Ende, wir können nach Hause gehen"-Witz anbringen konnte...

Immerhin war die Stimmung im Saal dank der ständig lachenden Kinolaien (die mit Abstinenzlern verglichen werden können, die auf einer Feier ein Glas zuviel getrunken haben) von Anfang an gelöst, was den Genuß von Curtis Hansons Werk noch gesteigert hat. Michael Douglas spielt mit Lust und Wärme einen schluffigen, unrasiert im Bademantel seiner Frau umherlaufenden, ständig Hasch rauchenden Professor, der so verschieden von seinen üblichen Maniac- und Yuppierollen ist, daß man schon zweimal hinsehen muß, um ihn zu erkennen. Der weichgesichtige Tobey Maguire ist gewohnt brillant als Tripps sensibel-genialer Musterschüler, Frances McDormand (bekannt aus Fargo) bezaubert als geschäftig-warmherzige Kanzlerin, Rip Torn (gesehen unter anderem in Men in Black) ist der herrlich überhebliche Fließbandautor "Q", die hier etwas zu selten eingesetzte Katie Holmes zeigt auf sympathisch-attraktive Weise, daß sie mehr kann, als belanglose Highschoolbeziehungen totzureden, und Robert Downey Jr., der ausgerechnet wegen Drogen und Prügeleien für einige Zeit auf Mike Tyson-Art eine Zwangspause eingelegt hatte, meldet sich aufs Köstlichste als bisexueller Verleger mit einem Faible für Transvestiten zurück. All das wird gefilmt vom Italiener Dante Spinotti, der schon in The Insider und Nell ein Händchen für schöne Bilder bewies. Hier inszeniert er das eigentlich von grauen Schwerindustriefabriken geprägte Pittsburgh als versöhnlich-heimeliges Wintermärchen, in dem sich sogar die Flutlichter der Industriestätten romantisch im Wasser spiegeln. Michael Douglas bringt mit Hilfe des liebevoll-verträumt und hintergründig-humorvoll geschriebenen Selbstfindungsskripts zum Ausdruck, was auch der Zuschauer angesichts der kuscheligen Ausstattung immerzu sagen möchte: "A house you'd like to wake up in on Christmas morning."

In dieser wohligen Szenerie lernen sich Tripp und sein Schüler näher kennen, wobei sie noch einen versehentlich erschossenen Hund beseitigen müssen, was zu einem halbwegs lustigen running gag führt. Da sind andere Scherze besser gelungen: der für einen US-Film erstaunlich freizügige Umgang mit Drogen wird zwar bis zum Happy-End abgestellt, sorgt aber vorher mit der ständig brennenden Tüte in Douglas' Mund oder dem "under the influence"-Gespräch mit Katie Holmes für einige Lacher. Auch sonst schert sich Wonder Boys wenig um gängige Kinokonventionen, was in den USA natürlich zu einem kommerziellen Flop führte: Tobey Maguire erschießt nicht nur einen Hund (!), sondern schläft auch noch mit einem Mann, ohne daß sich jemand aufregt. Zwischendurch versucht Tripp, der von ihm schwangeren Kanzlerin zu sagen, daß er sie liebt, und muß nach einigen netten Szenen und vergnüglichen Mißgeschicken mit ansehen, wie sein über 2000-seitiger, unfertiger Roman im Fluß versinkt, was ihn endlich zur Räson und wieder zurück in bürgerliche Bahnen bringt. Daß der Film am Ende etwas plump konventionelle Familienwerte predigt, sei angesichts der tollen Besetzung, der berückenden Inszenierung, der wie beiläufigen Tabubrüche, der schillernden Charaktere und des poetisch leichten Drehbuches ausnahmsweise verziehen - Marilyn wurde nie schöner zelebriert.

****von 5 Sternen.

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