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The War Zone

-- Chapeau, Tim Roth --

Szene aus The War Zone

Info über The War Zone (GB 1999)

Regie: Tim Roth

Darsteller: Ray Winstone, Tilda Swinton, Freddie Cunliffe, Lara Belmont, Kate Ashfield, Aisling O'Sullivan

Inhalt: Ein Junge kommt hinter die inzestuösen Geschehnisse in seiner Familie.

Kritik: Filme wie The War Zone sind es, die mich auch nach Jahren des Konsums immer neuer "actionreicher" Tiefpunkte der Filmgeschichte doch wieder an die aufklärerische Kraft des Kinos glauben lassen. Der britische Schauspieler Tim Roth, den meisten vielleicht aus Reservoir Dogs oder Pulp Fiction bekannt, legt mit seinem Regiedebüt eine so kunstvolle, behutsame und einfühlsame, aber gleichzeitig so erschütternde und eindringliche Umsetzung des äußerst schwierigen Themas Inzest hin, daß der Zuschauer am Ende fassungslos im Sessel sitzen bleibt, abfahrenden Straßenbahnen, verpaßten Terminen und ungeduldigen Begleitern zum Trotz.

Die rauh von Gischt umspülten Felsen, die die südliche Küste Englands zerklüften, den stetig auf karge Wiesen prasselnden Regen, steinige Wege in dunkler Nacht und einen aus dem Weltkrieg übriggebliebenen einsamen Bunker zeigt Roth in so schön gefilmten, kalten, blauen Bildern, daß jede Wärme aus dem Herzen flieht. Die unwirtlichen Schauplätze und das dunkelblaue Set- und Kostümdesign stehen, etwas prätentiös künstlerisch ist das manchmal schon, für die aufgerissenen Strukturen der scheinbar glücklichen Kleinfamilie, die aus dem urbanen London aus unbekannten Gründen nach Devon zog.

Dort bringt die von Tilda Swinton aus The Beach mutig mit echten Schwangerschaftsspuren - sie hatte vor den Dreharbeiten gerade Zwillinge zur Welt gebracht - harmoniebedürftig gespielte Mutter ein drittes Kind zur Welt. Langsam paßt sich die Familie dem neuen Mitglied an, und in was für langsamen, beobachtenden, realistischen und subtilen Bildern das gezeigt wird, das muß man schon selbst gesehen haben. Ständig klingelt das Telefon, und der umtriebige, scheinbar liebevolle Vater erledigt mit etwas schwer zu verstehendem Akzent seine Geschäfte, während sein schlaksiger Sohn mit Pickeln und anderen Pubertätsproblemen zu tun hat, hervorragend linkisch, mit unterdrückten Emotionen und fast ungeschminkt vom jungen Freddie Cunliffe gespielt. Durch Zufall sieht er, wie sein Vater seine ältere Schwester vergewaltigt, ganz wunderbar nahegehend verängstigt und verstört von der ebenfalls noch unbekannten Lara Belmont gespielt. Weiter beobachtet er mit unbewegter Miene, und mit sparsam eingesetzter, aufwühlender Musik kommt er langsam hinter die Fassade heilen Familienlebens, die der Vater vorgaukelt.

Daß Tim Roth dabei niemals sensationsheischend wird, heimlich mit dem Täter sympathisiert oder ihn geifernd zum Monster stempelt, hebt diesen Film ganz wesentlich von ähnlichen Werken ab. Fern von plakativen Schwarz-Weiß-Mustern und alles erklärenden und ausleuchtenden Dialogen bleibt es hier der Reflexion des Zuschauers überlassen, wie sehr der Inzest die Psychen der Familienmitglieder zerstört, warum es dazu kam oder wieviel die Mutter weiß. Statt brutaler "Kreuziget ihn"-Anklage zeigt Roth lieber in ganz erstaunlich expliziten, aber dennoch nie voyeuristischen oder vorverurteilenden und gerade dadurch besonders bewegenden und erinnerungswürdigen Szenen, wie der erschreckend routinemäßige Inzest Opfer, Täter und nach und nach die ganze Familie zerstört. Die Vergewaltigung im Bunker, die Selbstverstümmelung der Tochter und schließlich das erschütternd lakonisch gezeigte Blut in der Windel geben dem Sohn schließlich die Kraft, die Taten des Vaters zur Sprache zu bringen. Aber schon ist es zu spät, zu sehr ist die Familie bereits zerstört, so daß die Aussprache im Mord enden muß.

Daß der Tod des Vaters als Folge der Verwerfungen in dieser zur Kommunikation und zur Liebe seit langem unfähigen Familie weder seine verdiente Hinrichtung noch die reinigende Lösung aller Probleme ist, das zeigt die letzte Szene noch einmal deutlich, als die Kinder, aller Worte beraubt, im Bunker kauern und schließlich die Tür hinter sich zumachen. Davon fliegt die Kamera und läßt den Zuschauer mit den Bildern des einsamen Betonklotzes auf den Klippen allein, jeder Auflösung, jedem fröhlich stimmenden Happy-End und jeder Ilusion ledig. Denn das Leben kennt kein Ende, so grausam das auch klingt.

*****von 5 Sternen.

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