Kritik:
Es ist nachgerade
die Tragik des Menschen, daß ihm immer das, was unerreichbar und fern ist, als das Begehrenswerteste,
Schönste erscheint. Von Goethes Italien bis zum
neuzeitlichen Streben nach planetar-medialer Berühmtheit und
darüber hinaus kann man den Bogen gefahrlos spannen, ohne ihn zu strapazieren;
auch das immer der Mehrheit der Lebenden entgegenlaufende
Schönheitsideal gehört in dieses Feld, und so
sehnt der Westler eine wespenschlanke Diana herbei, wo sich
der Rest der Welt eine voluptuöse Venus
wünscht.
Allein, der
Westen kontrolliert und bestimmt, was in unseren Breiten zu
sehen und zu hören ist, und so, vom Ätherischen
ins Konkrete, kommt es, daß Kate Winslet, die bezauberndste aller bezaubernden englischen
Schauspielerinnen, so selten zu sehen ist, obgleich sie ein
einnehmend-sympathisches Wesen mit unglaublichem
Schauspieltalent und einer noch unglaublicheren
Leinwandausstrahlung verknüpft. Viele Zuschauer aber
werden sie auf Dauer nur ihrer optischen Reize wegen im
Gedächtnis behalten, welche in vielen ihrer Filme
seltsamer- und traurigerweise gleichsam als Ausflucht, sie
einer ihrer dünneren und angeblich massenkompatibleren
Kolleginnen vorgezogen zu haben, ausgiebig zelebriert
werden.
So auch in Philip Kaufmans barockem Kostümdrama
Quills. Dabei hat Winslet, wie sie auch hier wieder
unter Beweis stellt, so viel mehr zu bieten als einen
schönen Körper, und es wäre ein Jammer, wenn
man sich ihrer nur als "Mal mich, wie ich den Diamanten
trage. Nur den Diamanten"-Rose erinnerte, während
Bananenqueresserin Julia Roberts als ausgezeichnete Award-Gewinnerin
verbliebe.
Kate
Winslet also spielt Madeleine, die Magd, die in einem
französischen Irrenhaus kurz nach der Revolution neben
Pyromanen, Vergewaltigern und Transvestiten auch dem
politisch mißliebigen Donatien Alphonse
François Marquis de Sade die Bettwäsche wechselt
und nebenbei ihrem musikalischen theme lauscht,
welches allzu frappant - ein Scherz des ansonsten
fähigen Komponisten? - an Titanic erinnert.
Der Marquis fällt wegen seiner
freizügig-erotischen Schriften bei Napoléon
Bonaparte, dem Vollender und Überwinder der Französischen Revolution,
in Ungnade, und daher bekommt der sanfte Vorsteher des
Irrenhauses, Abbé Coulmier, den knallharten Dr.
Royer-Collard vorgesetzt. Historisch ist das alles
natürlich, wir sind in Hollywood, in einer ganz anderen
Reihenfolge abgelaufen, wofür sich der Film immerhin
gleich zu Anfang auf charmante Weise
entschuldigt.
Weniger
hollywoodesk mutet das üppig-schwere Ambiente von
Quills an, das neben dunklen Bildern zwischen
grünschimmligen Gefängnismauern ungewaschene
Bauern, dreckige Irre, abgeschlagene Köpfe, eine Menge
Blut und einiges an nackter männlicher und weiblicher
Haut zeigt, so daß man sich verwundert fragt, wie
dieser Film in den USA statt in Europa produziert werden
konnte, zumal die beiden Hauptdarsteller keine Amerikaner,
sondern eine Engländerin mit einem wundervoll-wundervollen Akzent
und ein energischer Australier sind. Geoffrey Rush als
zynischer Satyr und Mephistopheles, der auf der Suche nach
Ersatz für das ihm genommene Schreibzeug eine
erstaunliche, bis zur Selbstverstümmelung gehende,
wunderbar inszenierte Kreativität offenbart, lohnt
einen Besuch von Kaufmans Werk genauso wie die schönen Szenen des Marquis mit Winslet oder mit dem Abbé, seinem Cherub, der von Joaquin Phoenix (der sich anschickt, seinen unvergessenen, früh verstorbenen Bruder River an Ruhm zu überragen) zwar - wie schon sein
römischer Kaiser in Gladiator - mit einer
Neve-Campbell-Gedächtnis-Zitterlippe, ansonsten aber recht passabel gegeben wird. Und Michael Caine als
beinhart-heuchlerischer Folterer und Zylinderträger,
der ein Kind (Amelia Warner, die fast Asia Argentos kleine Schwester sein könnte) zur Frau nimmt und sie in einen goldenen
Käfig sperrt, ist fast schon eine Klasse für
sich.
Die
Inszenierung kann sich also in jedem Augenblick sehen
lassen: von den engagierten Schauspielern über die
realitätsgetreu-verschmutzte Ausstattung und die
gelungene Musikuntermalung bis zum reichlich vorhandenen,
derben bis subtilen Humor ist alles dabei, was einen guten
Film ausmacht. Und die Wege, die der Marquis findet, um, am
Ende nackt in einer blanken Zelle kauernd,
seine Gedanken zu Papier zu bringen, sollte man auch
dann mitgegangen sein, wenn das einzige, was man je
schreibt, Überweisungen sind.
Daß Quills dennoch kein Film der Extraklasse
geworden ist, liegt an den teilweise überzeichnet
klischeehaften Verrückten, der allzu forciert
tragisch-apokalyptischen Entwicklung gegen Ende (auch wenn
dieses an Schockwirkung der Ermordung eines kleinen Hundes
in einem Hollywood-Katastrophenfilm fast gleichkommt) und
den diversen Nebenschauplätzen und Subplots, die den
originellen, aber etwas dünnen Hauptstrang verdicken
wollen und ihn doch nur verfransen. Aber zu einem Film mit
Kate Winslet und Geoffrey Rush darf man auch dann bitten,
wenn er nicht ohne (kleine) Fehler ist, zumal in Zeiten, in
denen das geschriebene Wort vielen nicht schön scheint,
aber dennoch unerreichbar fern ist.
von
5 Sternen.
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