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Quills

-- Barock --

Szene aus Quills

Info über Quills (USA 2000)

Regie: Philip Kaufman

Darsteller: Geoffrey Rush, Kate Winslet, Joaquin Phoenix, Michael Caine, Amelia Warner, Billie Whitelaw

Inhalt: Das Gefängnisleben des Marquis de Sade.

Kritik: Es ist nachgerade die Tragik des Menschen, daß ihm immer das, was unerreichbar und fern ist, als das Begehrenswerteste, Schönste erscheint. Von Goethes Italien bis zum neuzeitlichen Streben nach planetar-medialer Berühmtheit und darüber hinaus kann man den Bogen gefahrlos spannen, ohne ihn zu strapazieren; auch das immer der Mehrheit der Lebenden entgegenlaufende Schönheitsideal gehört in dieses Feld, und so sehnt der Westler eine wespenschlanke Diana herbei, wo sich der Rest der Welt eine voluptuöse Venus wünscht.

Allein, der Westen kontrolliert und bestimmt, was in unseren Breiten zu sehen und zu hören ist, und so, vom Ätherischen ins Konkrete, kommt es, daß Kate Winslet, die bezauberndste aller bezaubernden englischen Schauspielerinnen, so selten zu sehen ist, obgleich sie ein einnehmend-sympathisches Wesen mit unglaublichem Schauspieltalent und einer noch unglaublicheren Leinwandausstrahlung verknüpft. Viele Zuschauer aber werden sie auf Dauer nur ihrer optischen Reize wegen im Gedächtnis behalten, welche in vielen ihrer Filme seltsamer- und traurigerweise gleichsam als Ausflucht, sie einer ihrer dünneren und angeblich massenkompatibleren Kolleginnen vorgezogen zu haben, ausgiebig zelebriert werden.
So auch in Philip Kaufmans barockem Kostümdrama Quills. Dabei hat Winslet, wie sie auch hier wieder unter Beweis stellt, so viel mehr zu bieten als einen schönen Körper, und es wäre ein Jammer, wenn man sich ihrer nur als "Mal mich, wie ich den Diamanten trage. Nur den Diamanten"-Rose erinnerte, während Bananenqueresserin Julia Roberts als ausgezeichnete Award-Gewinnerin verbliebe.

Kate Winslet also spielt Madeleine, die Magd, die in einem französischen Irrenhaus kurz nach der Revolution neben Pyromanen, Vergewaltigern und Transvestiten auch dem politisch mißliebigen Donatien Alphonse François Marquis de Sade die Bettwäsche wechselt und nebenbei ihrem musikalischen theme lauscht, welches allzu frappant - ein Scherz des ansonsten fähigen Komponisten? - an Titanic erinnert.
Der Marquis fällt wegen seiner freizügig-erotischen Schriften bei Napoléon Bonaparte, dem Vollender und Überwinder der Französischen Revolution, in Ungnade, und daher bekommt der sanfte Vorsteher des Irrenhauses, Abbé Coulmier, den knallharten Dr. Royer-Collard vorgesetzt. Historisch ist das alles natürlich, wir sind in Hollywood, in einer ganz anderen Reihenfolge abgelaufen, wofür sich der Film immerhin gleich zu Anfang auf charmante Weise entschuldigt.
Weniger hollywoodesk mutet das üppig-schwere Ambiente von Quills an, das neben dunklen Bildern zwischen grünschimmligen Gefängnismauern ungewaschene Bauern, dreckige Irre, abgeschlagene Köpfe, eine Menge Blut und einiges an nackter männlicher und weiblicher Haut zeigt, so daß man sich verwundert fragt, wie dieser Film in den USA statt in Europa produziert werden konnte, zumal die beiden Hauptdarsteller keine Amerikaner, sondern eine Engländerin mit einem wundervoll-wundervollen Akzent und ein energischer Australier sind. Geoffrey Rush als zynischer Satyr und Mephistopheles, der auf der Suche nach Ersatz für das ihm genommene Schreibzeug eine erstaunliche, bis zur Selbstverstümmelung gehende, wunderbar inszenierte Kreativität offenbart, lohnt einen Besuch von Kaufmans Werk genauso wie die schönen Szenen des Marquis mit Winslet oder mit dem Abbé, seinem Cherub, der von Joaquin Phoenix (der sich anschickt, seinen unvergessenen, früh verstorbenen Bruder River an Ruhm zu überragen) zwar - wie schon sein römischer Kaiser in Gladiator - mit einer Neve-Campbell-Gedächtnis-Zitterlippe, ansonsten aber recht passabel gegeben wird. Und Michael Caine als beinhart-heuchlerischer Folterer und Zylinderträger, der ein Kind (Amelia Warner, die fast Asia Argentos kleine Schwester sein könnte) zur Frau nimmt und sie in einen goldenen Käfig sperrt, ist fast schon eine Klasse für sich.

Die Inszenierung kann sich also in jedem Augenblick sehen lassen: von den engagierten Schauspielern über die realitätsgetreu-verschmutzte Ausstattung und die gelungene Musikuntermalung bis zum reichlich vorhandenen, derben bis subtilen Humor ist alles dabei, was einen guten Film ausmacht. Und die Wege, die der Marquis findet, um, am Ende nackt in einer blanken Zelle kauernd, seine Gedanken zu Papier zu bringen, sollte man auch dann mitgegangen sein, wenn das einzige, was man je schreibt, Überweisungen sind.
Daß Quills dennoch kein Film der Extraklasse geworden ist, liegt an den teilweise überzeichnet klischeehaften Verrückten, der allzu forciert tragisch-apokalyptischen Entwicklung gegen Ende (auch wenn dieses an Schockwirkung der Ermordung eines kleinen Hundes in einem Hollywood-Katastrophenfilm fast gleichkommt) und den diversen Nebenschauplätzen und Subplots, die den originellen, aber etwas dünnen Hauptstrang verdicken wollen und ihn doch nur verfransen. Aber zu einem Film mit Kate Winslet und Geoffrey Rush darf man auch dann bitten, wenn er nicht ohne (kleine) Fehler ist, zumal in Zeiten, in denen das geschriebene Wort vielen nicht schön scheint, aber dennoch unerreichbar fern ist.

****von 5 Sternen.

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