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Intimacy

-- Fordernd --

Szene aus Intimacy

Info über Intimacy (GB 2000)

Regie: Patrice Chéreau

Darsteller: Mark Rylance, Kerry Fox, Timothy Spall, Alastair Galbraith, Marianne Faithfull, Philippe Calvario

Inhalt: Ein Mann und eine Frau treffen sich Mittwoch nachmittags regelmäßig zu wortlosem Sex. Als die Frau eines Mittwochs nicht erscheint, beginnt der Mann ihr nachzugehen. Probleme entstehen.

Kritik: Das Kondom, so die zarte Helena Bonham Carter als Marla Singer in David Finchers wunderbarstem aller wunderbaren Filme Fight Club, ist "the glass slipper of our generation", der gläserne Schuh, den man anzieht, um die ganze Nacht mit einem Wildfremden zu tanzen und ihn dann wegzuwerfen. "The condom, not the stranger."
Umso verwunderlicher also, daß der Filmfan in Hollywood - dem Ort, an dem Betten nur L-förmige Decken haben, dem Ort, an dem venusartige Frauen und hengstgleiche Männer immer exakt gleichzeitig zu explosiven Orgasmen gelangen und dem Ort, an dem Männer selbst dann, wenn sie ihre Hose nicht ausziehen, Frauen schwängern können - nur dann ein Kondom erblickt, wenn der Film gleichsam in den dunklen Vororten der Stadt spielt, wohin sich kaum je eine Lichtgestalt aus Studio City verirrt. So ist es David Fincher hoch anzurechnen, daß er in Fight Club vier friedlich in der Toilette schwimmende Präser zeigt, und noch höher ist es Patrice Chéreau anzurechnen, daß er in seinem anstrengenden, aber durchaus gelungenen Werk Intimacy tatsächlich zeigt, wie Mark Rylance vor dem Beischlaf mit Kerry Fox ein Verhüterli überzieht.

Überhaupt ist der unverkrampfte Umgang mit Sexualität eines der Highlights von Intimacy, umso mehr, wenn sich im Kino nebenan amerikanische Verklemmung und unterdrückte Obszönität deutlich hörbar in gewalttätigen Penetrationsphantasien unter dem Deckmantel der Darstellung der Geschichte von Pearl Harbor entladen: Mark Rylance, in seiner schmuddelig-grüblerischen Unrasiertheit den üblichen Muskelprotzen weit fern, und Kerry Fox, alles andere als ein operiert-hirnloses Luxuskörperchen, zeigen und geben alles für ihre Charaktere, die sich jeden Mittwoch zu anonymem Sex treffen. Wie sehr der gemeine Zuschauer von der diskret-prüden Abblende, der Lüge der immer glücklich erfüllten Körperlichkeit und den ewig gleichen Astralleibern verzogen ist, macht Chéreau in diesen Szenen nach und nach subtil-charmant deutlich, vor allem, als Rylance, der sich jeden Mittwoch ein bißchen mehr in Fox verliebt, die schlafende Neuseeländerin Kerry drapiert wie Goyas nackte Maya. Hier entdeckt die Kamera und mit ihr der Zuschauer die ganze Attraktivität der auf den ersten Blick eher herb anmutenden Kerry Fox, und wenn selbst das Kino der Jahrtausendwende noch zeigen kann, daß auch Nicht-Astralen bezaubernde Schönheit innewohnt, ist mir um die Zukunft schon weniger bang.

Bald aber reichen Jay (Rylance), einem halbwegs erfolgreichen Kneipenbetreiber, der seine Frau und seine zwei kleinen Kinder verlassen hat und mit seinem abgerissenen Freund Victor und seinem neuen Kellner Ian hadert, die mittwöchlichen Treffen nicht mehr, und er beginnt, Claire (Fox), der im Moment einzigen Frau in seinem Leben, halb neugierig, halb pirschend nachzugehen, bis er sie in einem schäbigen Kleintheater antrifft, wo sie, von ihrem korpulent-liebevollen Ehemann Andy (Timothy Spall) und ihrem kleinen Sohn begleitet, mehrmals in der Woche schauspielt. Zu meist blau-blauen, aber ästhetischen Bildern und unaufdringlicher Musik diskutiert er nun mit Andy, ohne sie zu erwähnen, über dessen Frau, läßt sich von Ian beraten und schimpft mit Victor, während Claire, von ihrer Schülerin Betty (die Sängerin Marianne Faithfull in einer Minirolle) genervt, in einer schön-erschütternden und toll gespielten Szene dahinter kommt, daß Jay sie verfolgt und beider Privatheit so zerstört. In diesen Szenen entfaltet sich nach und nach das komplizierte Beziehungsgeflecht der durchweg hervorragenden Hauptakteure Rylance, Fox und Spall, und als die aufgestauten Spannungen und Verwirrungen sich endlich in Andys beeindruckend gespieltem Besuch in Jays Kneipe und Andys und Claires und Claires und Jays Aussprache entladen, sind nicht nur die Charaktere, sondern auch die Zuschauer erschöpft: die um Ehrlichkeit in Beziehungen, Nähe, Treue, Bindungsangst und fehlendes Verständnis füreinander kreisenden Dialoge und Szenen sind nicht nur ausgeklügelt, verschachtelt und hintergründig-lebensnah, sondern in der Originalversion ob der verschiedenen nuschligen Akzente teilweise auch nur mit viel Mühe zu verstehen.

Zurück bleiben so statt eines einheitlichen Gesamtbildes nur einzelne Fragmente, die aber dennoch eindrücklich die Auswirkungen fehlender oder befürchteter Intimität der Großstadtmenschen zeigen: Claire, die nach jahrelanger Ehe ihren Mann beschimpft, er wisse noch nicht mal, wie er sie verletzen könne; Jay, der einen kichernden und ständig plappernden One-Night-Stand noch vor dem Frühstück verläßt; und Jay, der seine Familie aus Angst, durch die gemeinsamen Kinder auf immer an seine Frau gebunden zu sein, alleinläßt... Nachdenklich stimmend, anstrengend und nicht leicht verdaulich, aber eine Überlegung (und einen Kinobesuch) allemal wert, und sei's nur, um Menschen statt Puppen zu sehen.

***1/2 von 5 Sternen.

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