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The Ice Storm

-- Es ist kalt in New Canaan --

Szene aus The Ice Storm

Info über The Ice Storm (USA 1997)

Regie: Ang Lee

Darsteller: Kevin Kline, Joan Allen, Sigourney Weaver, Tobey Maguire, Christina Ricci, Elijah Wood

Inhalt: Anfang der Siebziger hat die sexuelle Revolution tiefe Narben hinterlassen, die während eines Eissturmes wieder aufbrechen.

Kritik: Die besten sozialkritischen Filme, die der amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten, kommen - es gibt doch noch subtile Ironie - ausgerechnet aus den Händen von Nicht-Amerikanern. Leute wie Paul Verhoeven mit seinen grotesken Überzeichnungen oder Roland Emmerich mit seinen todernst patriotischen filmischen Ausfällen, die trotzdem millionenfach besucht werden, zeigen (manchmal eher unfreiwillig), wie die amerikanische Gesellschaft gestrickt ist.

Auch der Asiate Ang Lee, mit Sense and Sensibility bekannt geworden, zeigt in The Ice Storm ein bemerkenswertes Gespür für die seelischen Abgründe der Neuweltler. In unterkühlt-ästhetischen Bildern, von einem eindringlichen musikalischen Hauptthema begleitet, zeigen hervorragende Schauspieler mit üppigen Zeitgeist-Frisuren in authentischen Seventies-Dekors, wie unverdaut die Offenheit der Hippie-Ära geblieben ist. Von Kevin Kline als zwischen Autorität und Kumpelhaftigkeit schwankendem Vater über Joan Allen als im Herzen konservativ gebliebener Mutter bis zu Sigourney Weaver als hedonistischer Geliebter zeigen sich die erwachsenen Schauspieler auf der Höhe ihres Könnens und demonstrieren eindringlich, daß die Umsetzung des Ideals der freien Liebe an alltäglichen Marotten und Eifersüchteleien scheitert. Höhepunkt und im wahrsten Sinne des Wortes Schlüsselszene ist hier der Partnertausch auf der Party, als die Gäste im Herzen unwillig, aber dem freiheitlichen Zeitgeist folgend ihre Ehefrauen und -männer für eine Nacht austauschen. Für die befreundeten Familien Carver und Hood endet der Abend in einem die Lügen aufdeckenden alkoholischen Fiasko.

Mindestens genausoviel Raum gibt Ang Lee seinen jungen Schauspielern, die frei von Verboten und Richtlinien orientierungslos im sexuellen Niemandsland umhertappen. Christina Ricci als Unsicherheiten durch Provokation vertuschendes Gör weiß dabei ebenso zu gefallen wie Elijah Wood als verträumter Schluffi oder Adam Hann-Byrd als frühreifer, verzogener Bastard. Auch Tobey "Schlafzimmerblick" Maguire als unglücklich liebender Comic-Fan ist nett anzusehen, genauso wie Katie "Joey" Holmes als Objekt der Begierde "Wie-bitte?"-Libbets. Als Riccis Filmvater sie und Wood beim Fummeln erwischt und rabiat trennt, wird klar, daß die permissive Denkweise der Achtundsechziger sich nur oberflächlich festsetzen konnte und die unbewältigten Koflikte nicht beseitigt, sondern nur verdeckt oder sogar verschlimmert hat.

Nach fast neunzig Minuten nie langweiliger genauer Beobachtung, schöner schauspielerischer Interaktion und zwischenmenschlicher Plänkeleien wird ein großer Eissturm, viele haben es geschrieben, zur Metapher für die neue Gefühlskälte. Daß ihr ein Kind zum Opfer werden muß, erscheint da nur logisch, und so findet The Ice Storm im Schluß noch zu einer Tragödie, die kathartisch überwunden werden muß, gezeigt im finalen Weinkrampf Kevin Klines, der den Zuschauer fassungslos und traurig sitzen läßt. Zum Glück sind wir Europäer wenigstens richtig sexuell befreit... oder?

****1/2 von 5 Sternen.

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