Kritik:
Wie nur wenige
Archetypen der Neuzeit bleibt der Serienmörder eins der
liebsten Hätschelkinder des modernen Kinos, noch in den
kleinsten Anspielungen heimlich-ehrfürchtig bewundert.
So nimmt sich der Edvard Munch-Mörder in Scream
2 die zierliche Sarah Michelle Gellar ausgerechnet in
einem mit griechischen Buchstaben ausgezeichneten
Verbindungshaus vor, ganz wie der gutaussehende, smarte
Psychologiestudent Ted Bundy, während "Buffalo Bill",
der Patient des gebildeten Bach-Liebhabers Dr. Hannibal
Lecter, seine Opfer lieber filetiert wie Ed Gein, der wahre
"American Psycho". Kevin Spaceys John Doe wiederum richtet
sich in Se7en gleich gegen die Verderbtheit der
ganzen Menschheit, dem Film so ein furioses Finale und ewige
Unvergeßlichkeit verleihend: ein filmisch fruchtbares
Feld.
Was also
liegt näher, als sich dem Urvater aller heutigen
Mehrfachtäter, dem nie gefaßten, 1888 in London
umgegangenen Prostituiertenmörder "Jack the Ripper" zu
widmen? Die mit Menace II Society weltbekannt
gewordenen Hughes-Brüder stürzen sich mit
blutgierigem Furor in die pflastersteinbedeckten
Hinterhöfe und Gassen des viktorianischen London, aus
dem sie zwar nicht mit allzu originellen Erkenntnissen und
Kniffen zurückkehren, aber dank der Mühen der
beteiligten Künstler künstlerisch
größtenteils doch lebend.
Zuallererst freilich fällt der Blick des interessierten
Zuschauers in das brillante Dekolleté Heather
Grahams, das geschickt und versiert die
glubschäugig-maue Gute-Hure-Darstellung seiner
Besitzerin übertüncht. Als schreiend rothaarige
(also "natürlich" irische) Prostituierte Mary Kelly
versucht Graham mit ihren Freundinnen, im völlig
heruntergekommenen Stadtteil Whitechapel über die
Runden zu kommen, wobei ihr nur ihr aufgesetzter Akzent im
Wege zu stehen scheint - trotz Nachtlagern in Armenkirchen
und wurmzerfressenen Stuben wirkt Heather Graham immer so
proper und begehrenswert, als benutzte sie täglich das
Badezimmer der Königin. Ein wenig sticht sie so schon
aus der gelungenen Ausstattung und den engagiert-verdreckten
Statisten hervor, die die Slums der großen Stadt
dicht-eindrücklich und fast physisch dampfend zum Leben
erwecken - der immer besser werdende, horrorerfahrene
Mulholland Drive-Kameramann Peter Deming
übertrifft sich auch in der realistischen Darstellung des Elends der Armen laufend selbst.
Vom wütenden Brodeln
des sozialen Ungleichgewichts zum Brüten eines ungeheuren Dämons ist es nicht weit, und so mutet es zuerst wie
eine natürliche Fortsetzung der alltäglichen
Messerstechereien an, als der Ripper, ein eleganter, aber
reichlich gedrungener Mann, sein erstes Opfer findet. Die
außergewöhnliche Brutalität des Mordes ruft
jedoch schnell die Polizei auf den Plan, die in Gestalt des
wuchtig-brummigen Robbie Coltrane ihren besten Mann - Johnny
Depp - buchstäblich direkt aus der Opiumhölle zum
Tatort zerrt.
Gäbe es Johnny Depp nicht, für Rollen wie diese
müßte man ihn sofort erfinden: als etwas
klischeehaft hellsichtiger, absinth- und
opiumsüchtiger, sinnlicher Inspektor mit einem Riecher
für abseitige Details ergänzt er sich nicht nur
harmonisch mit Coltrane, trumpft in starken Sequenzen auf
(der Kuss mit Mary Kelly! Der Besuch bei den Ärzten!) und erfreut durch stilvoll-hemmungslosen Drogengenuß,
sondern rettet auch gekonnt über schwächere
Passagen wie die obligatorische
Wir-verbinden-die-Tatorte-auf-der-Stadtkarte-und-schneiden-daraus-ein-Hampelmännchen-Szene
oder die tausendmal gesehene Ich-suspendiere-Sie-Drohung
seines von Ian Richardson arrogant-herablassend gespielten
Vorgesetzten hinweg.
Trotz aller
Mühen jedoch kann Inspektor Abberline erst hinter das
Geheimnis des Schlitzers kommen, als dessen grausames Werk,
und Trevor Jones' aufreibende Musik unterstützt den
Horror so kongenial wie die auch in den höchsten
Kreisen der Gesellschaft akkurate Ausstattung, die
luxuriösen Kostüme, die fesselnde Kamera und die
erfrischend-erschreckend blutig-rohe und glaubwürdige
Maske, fast vollendet ist. Abberline zieht den erfahrenen
Arzt Sir William Gull zu Rate, und von ihm erfährt er
nicht nur, wie der Mörder gleichsam das Innere ganz
Englands auszuweiden droht (denn der Adel ist in dieser
Geschichte so verrottet wie der Pöbel in den schmutzigen Straßen Whitechapels - nur moralisch statt physisch),
sondern findet in einer faszinierenden, den Weg des Rippers
invertierenden Reise von den engsten Gassen und Gossen zu den
größten Palästen auch seinen Meister in
jeder Hinsicht: Ian Holm als verschlagener Leibarzt der
Königin ist nicht nur schauspielerisch einmal mehr
unvergeßlich filigran und kraftvoll, sondern dem guten
Inspektor auch immer einen Schritt voraus, bis zum fast surreal blutroten Finale.
Der Epilog
nun fällt nach all der vorangegangenen Schlachterei
seltsam antiklimaktisch aus und enttäuscht so auf den
ersten Blick eher. Auf den zweiten Blick legen gerade die
letzten Minuten auf bemerkenswert beklemmende Weise die letzten, innersten Eingeweide des Königreichs bloß und
geben dem düster-opulenten Sittengemälde From
Hell so endlich einen komplettierenden und unentrinnbaren
Rahmen, den Figuren in dieser selbstgeschaffenen Hölle
zum Nachteil, dem Zuschauer zur
nachträglich-nachdenklichen Freude. L'enfer, c'est
les Autres.
von
5 Sternen.
|