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From Hell

-- Mit- und aufreißend --

Szene aus From Hell

Info über From Hell (USA 2001)

Regie: Albert Hughes, Allen Hughes

Darsteller: Johnny Depp, Ian Holm, Heather Graham, Robbie Coltrane, Ian Richardson, Lesley Sharp

Inhalt: Ein Inspektor müht sich im viktorianischen London, dem Serienmörder "Jack the Ripper" auf die Schliche zu kommen.

Kritik: Wie nur wenige Archetypen der Neuzeit bleibt der Serienmörder eins der liebsten Hätschelkinder des modernen Kinos, noch in den kleinsten Anspielungen heimlich-ehrfürchtig bewundert. So nimmt sich der Edvard Munch-Mörder in Scream 2 die zierliche Sarah Michelle Gellar ausgerechnet in einem mit griechischen Buchstaben ausgezeichneten Verbindungshaus vor, ganz wie der gutaussehende, smarte Psychologiestudent Ted Bundy, während "Buffalo Bill", der Patient des gebildeten Bach-Liebhabers Dr. Hannibal Lecter, seine Opfer lieber filetiert wie Ed Gein, der wahre "American Psycho". Kevin Spaceys John Doe wiederum richtet sich in Se7en gleich gegen die Verderbtheit der ganzen Menschheit, dem Film so ein furioses Finale und ewige Unvergeßlichkeit verleihend: ein filmisch fruchtbares Feld.

Was also liegt näher, als sich dem Urvater aller heutigen Mehrfachtäter, dem nie gefaßten, 1888 in London umgegangenen Prostituiertenmörder "Jack the Ripper" zu widmen? Die mit Menace II Society weltbekannt gewordenen Hughes-Brüder stürzen sich mit blutgierigem Furor in die pflastersteinbedeckten Hinterhöfe und Gassen des viktorianischen London, aus dem sie zwar nicht mit allzu originellen Erkenntnissen und Kniffen zurückkehren, aber dank der Mühen der beteiligten Künstler künstlerisch größtenteils doch lebend.
Zuallererst freilich fällt der Blick des interessierten Zuschauers in das brillante Dekolleté Heather Grahams, das geschickt und versiert die glubschäugig-maue Gute-Hure-Darstellung seiner Besitzerin übertüncht. Als schreiend rothaarige (also "natürlich" irische) Prostituierte Mary Kelly versucht Graham mit ihren Freundinnen, im völlig heruntergekommenen Stadtteil Whitechapel über die Runden zu kommen, wobei ihr nur ihr aufgesetzter Akzent im Wege zu stehen scheint - trotz Nachtlagern in Armenkirchen und wurmzerfressenen Stuben wirkt Heather Graham immer so proper und begehrenswert, als benutzte sie täglich das Badezimmer der Königin. Ein wenig sticht sie so schon aus der gelungenen Ausstattung und den engagiert-verdreckten Statisten hervor, die die Slums der großen Stadt dicht-eindrücklich und fast physisch dampfend zum Leben erwecken - der immer besser werdende, horrorerfahrene Mulholland Drive-Kameramann Peter Deming übertrifft sich auch in der realistischen Darstellung des Elends der Armen laufend selbst.

Vom wütenden Brodeln des sozialen Ungleichgewichts zum Brüten eines ungeheuren Dämons ist es nicht weit, und so mutet es zuerst wie eine natürliche Fortsetzung der alltäglichen Messerstechereien an, als der Ripper, ein eleganter, aber reichlich gedrungener Mann, sein erstes Opfer findet. Die außergewöhnliche Brutalität des Mordes ruft jedoch schnell die Polizei auf den Plan, die in Gestalt des wuchtig-brummigen Robbie Coltrane ihren besten Mann - Johnny Depp - buchstäblich direkt aus der Opiumhölle zum Tatort zerrt.
Gäbe es Johnny Depp nicht, für Rollen wie diese müßte man ihn sofort erfinden: als etwas klischeehaft hellsichtiger, absinth- und opiumsüchtiger, sinnlicher Inspektor mit einem Riecher für abseitige Details ergänzt er sich nicht nur harmonisch mit Coltrane, trumpft in starken Sequenzen auf (der Kuss mit Mary Kelly! Der Besuch bei den Ärzten!) und erfreut durch stilvoll-hemmungslosen Drogengenuß, sondern rettet auch gekonnt über schwächere Passagen wie die obligatorische Wir-verbinden-die-Tatorte-auf-der-Stadtkarte-und-schneiden-daraus-ein-Hampelmännchen-Szene oder die tausendmal gesehene Ich-suspendiere-Sie-Drohung seines von Ian Richardson arrogant-herablassend gespielten Vorgesetzten hinweg.

Trotz aller Mühen jedoch kann Inspektor Abberline erst hinter das Geheimnis des Schlitzers kommen, als dessen grausames Werk, und Trevor Jones' aufreibende Musik unterstützt den Horror so kongenial wie die auch in den höchsten Kreisen der Gesellschaft akkurate Ausstattung, die luxuriösen Kostüme, die fesselnde Kamera und die erfrischend-erschreckend blutig-rohe und glaubwürdige Maske, fast vollendet ist. Abberline zieht den erfahrenen Arzt Sir William Gull zu Rate, und von ihm erfährt er nicht nur, wie der Mörder gleichsam das Innere ganz Englands auszuweiden droht (denn der Adel ist in dieser Geschichte so verrottet wie der Pöbel in den schmutzigen Straßen Whitechapels - nur moralisch statt physisch), sondern findet in einer faszinierenden, den Weg des Rippers invertierenden Reise von den engsten Gassen und Gossen zu den größten Palästen auch seinen Meister in jeder Hinsicht: Ian Holm als verschlagener Leibarzt der Königin ist nicht nur schauspielerisch einmal mehr unvergeßlich filigran und kraftvoll, sondern dem guten Inspektor auch immer einen Schritt voraus, bis zum fast surreal blutroten Finale.

Der Epilog nun fällt nach all der vorangegangenen Schlachterei seltsam antiklimaktisch aus und enttäuscht so auf den ersten Blick eher. Auf den zweiten Blick legen gerade die letzten Minuten auf bemerkenswert beklemmende Weise die letzten, innersten Eingeweide des Königreichs bloß und geben dem düster-opulenten Sittengemälde From Hell so endlich einen komplettierenden und unentrinnbaren Rahmen, den Figuren in dieser selbstgeschaffenen Hölle zum Nachteil, dem Zuschauer zur nachträglich-nachdenklichen Freude. L'enfer, c'est les Autres.

****von 5 Sternen.

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