Kritik:
"Florenz, im
vollen Mondlicht leuchtend, so nahe vor sich, daß er
meinte, die Signoria und den Duomo mit Händen greifen
zu können, war ein überwältigender Anblick.
Kein Wunder, daß die jungen Männer dieser Stadt
romantische Balladen widmeten und selbst ihre Mädchen
dabei zu kurz kamen. Jeder echte Florentiner führte das
Wort im Munde: 'Ohne den Anblick des Duomo will ich nicht
leben'" (Irving Stone, "Michelangelo").
Besser als
mit einem Zitat kann man eine Kritik zu Hannibal
nicht eröffnen, diesem Film, der so gerne klug zitiert
und weltoffen-hochtrabend tut, im Herzen aber doch nur ein
billiger Bastei-Lübbe-Thriller aus der Grabbelkiste des
Supermarkts ist.
Bevor der Zuschauer das erkennen kann, wird er jedoch von
der atemberaubenden Schönheit der toskanischen
Metropole Florenz geblendet, die als Schauplatz für den
ersten Teil des Abenteuers dient: golden schlängelt
sich der Arno unter dem Ponte Vecchio, und im warmen Licht
der untergehenden Sonne, von John Mathieson
luxuriös-professionell gefilmt, schweift der Blick des
Betrachters von der Kuppel des Doms zum charakteristischen
Turm der Signoria, in der Hannibal Lecter, vor zehn Jahren
aus lebenslanger Haft entflohen, um eine Stelle als Kurator
nachsucht. Mit akzentfreien Zitaten aus Dantes
Göttlicher Komödie betört er die anwesenden
Honoratioren, bevor er den Polizeiinspektor Rinaldo Pazzi
auf eben jene Weise tötet, auf die einst sein Vorfahr
getötet wurde, einer jener Pazzi, die Il
Magnifico, Lorenzo de Medici, und seinen Bruder
töten wollten. Im Duomo lauerten die Mörder
Giuliano und Lorenzo auf, willens, ihre Messer in das
verletzliche Fleisch des größten Mäzens der
damaligen Zeit zu treiben - Giuliano starb, Lorenzo
überlebte schwer verletzt, die Mörder wurden
gefaßt und Francesco Pazzi mit entblößten
Eingeweiden aufgehängt, Nachahmern zur
eindrücklichen Warnung. Dabei hatte für Pazzi (den
Jüngeren), als er und seine elegante Frau Dr. Lecter
in der Oper (Dante Alighieri, natürlich, besingt seine
Jugendliebe Beatrice - eine wunderschöne Szene)
getroffen hatten, alles noch rosig ausgesehen, und Lecter
hatte ihnen sogar eins von Dantes Gedichten
geschenkt.
Ganz
große Kultur will Hannibal in diesen
anspielungsreichen Szenen sein, die auch durchaus schön
anzusehen und anzuhören sind (Opernszenen haben in
Filmen immer einen ganz besonderen Reiz, und einen Dante
rezitierenden Anthony Hopkins erlebt man auch nicht alle
Tage); aber leider kann der Rest des Filmes trotz der
durchgehend wunderschönen Kamera (der Nebel auf den
unberührten Weiden Virginias!) und Musik (von Hans Zimmer) bei weitem
nicht mit dem gehobenen florentinischen Ambiente
mithalten.
Es fängt schon mit dem völlig
überflüssigen, durch eine aufwendige Maske
fürchterlich entstellten Gary Oldman an, der als
verrückt-sadistisch-ungebildeter Milliardär
Sympathien für den hier zum gebildet-hochgeistigen Übermenschen stilisierten Dr.
Lecter erzeugen soll und sich auf klischeehaft tumbe, illoyale Helfer
und eine lächerliche, James-Bond-artig nicht
funktionierende Tötungsart verlässt; es geht
weiter mit dem ebenfalls unnötigen Ray Liotta als
sexistischem Vorgesetzten, der der aufrechten Agentin
Clarice Starling das Leben schwermacht und am
Ende natürlich seine - immerhin tricktechnisch nett und
mit Sinn für schwarzen Humor umgesetzte - Strafe
erhält. Und Starling selbst wird von der talentierten
Julianne Moore zwar durchaus ansprechend gegeben, jedoch
springt der Funke in ihren wenigen Szenen mit dem manchmal
behäbig-rundlichen, manchmal immer noch gefährlich
präsenten Hopkins nicht so recht über; zudem pocht
ständig der natürlich unfaire Vergleich mit ihrer
Rollenvorgängerin im Hinterkopf - Moores Art zu spielen
ist eine ganz andere als Jodie Fosters, und wäre Moore
die erste und Foster die zweite Starling gewesen, würde
die Kritik Fosters Leistung an Moores messen statt
umgekehrt.
Aber mit
dem vorliegenden Drehbuch läßt sich in
schauspielerischer Hinsicht im Vergleich mit dem
Vorgänger tatsächlich wenig anfangen: neben den
gelegentlichen Gore-Szenen, die die übertriebene
Medienhysterie im Vorfeld keinesfalls rechtfertigen, wimmelt
Hannibal nur so von Klischees und
hanebüchen-vorhersehbaren Situationen, wobei die
gröbsten Peinlichkeiten des Buches wohlweislich
ausgelassen wurden: Starlings Vorgesetzte sind wahlweise
lüstern oder borniert und suspendieren sie vom Dienst, der Milliardär ist spinnerter als Goldfinger und Blofeld zusammen, der italienische
Kommissar ist ein korrupter Kettenraucher, und Dr. Lecter
kann, obwohl er auf der Most-Wanted-Liste des FBI steht,
unbehelligt in Florenz umherspazieren und in die USA
einreisen, wann und wie immer er will. Auch Starlings
Faszination für den grausamen Psychiater wirkt hier nur
mehr wie platte Schulmädchenverliebtheit, und das Ende
ist bis auf das an eine von Münchhausens Geschichten
gemahnende Festmahl so schlabbrig weich wie eine benutzte
Windel. Von der Divina Comedia zur vollen Pampers in
nur zwei Stunden - ein echtes Ridley
Scott-Spätwerk.
1/2 von
5 Sternen.
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