Kritik:
Auch an
heißen Tagen kann es durchaus angenehm sein, ins Kino
zu gehen. Neben schön leeren Rängen gefallen vor
allem die Klimaanlage und die vielen hübschen Menschen
auf der Leinwand, die einen die eigenen käsig bleichen
Beine und die brandroten Rücken der anderen in der
Fußgängerzone für eine Zeitlang vergessen
lassen. Wenn dann noch eine kalte Cola bereitsteht und der
Film gut ist, ist der Tag wieder einmal schön
gewesen.
Aber leider
ist Girl, Interrupted nicht gut. Allein der
völlig mißlungene, eine Art Komödie
andeutende deutsche Titel hätte mich fast vom Besuch
abgeschreckt. Die ungenaue Synchronisation hält, was
der Titel verspricht: die Stimmen sind zwar passend und
engagiert, geben aber laufend unzusammenhängende,
schlecht übersetzte und nervige Floskeln von sich. Wenn
wieder einmal ausgerechnet ich, Student eines
nichtsprachlichen Faches, schlauer bin als die
Synchronautoren, muß ich mich doch fragen, wie in
dieser Branche eigentlich gearbeitet wird.
Als weitere
Ärgernisse wirken die völlig einfallslose, sich
auf ewige, scheinbar emotionale Großaufnahmen von
Gesichtern verlassende Kamera, die eintönige
Sixties-Musik und das lieblose Setdesign. Dazu kommen die
nur durchschnittlichen Leistungen der Darsteller, darunter
Vanessa Redgrave als "Dr. Fick", Jared Leto als
bärtiges und wasseräugiges Angel Face, Whoopi
Goldberg als augenbrauerloser Gutmensch und meine
Lieblings-Audrey Winona Ryder mit einer leider komplett
enttäuschenden Performance. Zwar ist Winona wie immer
mit gewohnt kurzen Haaren und braunen Rehaugen sehr
schön anzusehen, wirkt aber in der Rolle der
uncharismatischen Susanna fast überfordert und so brav,
daß man nahezu einschläft. Ihre weit
aufgerissenen Augen und ihr offener Mund mit den
regelmäßigen Zähnchen sind sicher
schön, als einziges dramatisches Ausdrucksmittel jedoch
etwas schwach.
Aber zum
Glück gibt es ja das Engelchen Angelina Jolie,
unverkennbar Jon Voights Tochter, wahrscheinlich auf
ähnlichen Wegen wie Gwyneth Paltrow ins Biz gelangt
- über Hyper-Connections und gute "Freunde". Trotzdem
beweist sie in der dankbaren Rolle der soziopathischen Lisa
dicklippig, breitmundig, schnurrend und knurrend
erstaunliche Energie und außergewöhnliches
Talent, und der Oscar geht einmal in Ordnung. Die
Lisa-Susanna-Szenen wie etwa das schöne
"Downtown"-Ständchen sind dann auch die
mitreißendsten und besten im ganzen Film, der
ansonsten nur die altbekannten Klapsenklischees bis zum
saccharinsüßen Ende
variiert: mißbrauchte und entstellte, fette und
magersüchtige, aber für eine Irrenanstalt
insgesamt etwas zu hübsche und gepflegte Mädels
bilden die Kandidaten für Medikamentenausgaben,
Einzelhaft und Elektroschocks. Zwischendurch gibt es
Abziehbild-Hippies und salbadernde Platitüden über
Leben, Freundschaft und die Verkrustung des Psychobetriebs,
von Susanna per Voice-Over scheinbar tiefsinnig sinnend
serviert. Anscheinend soll die unmenschliche,
pseudowissenschaftliche Psychoanalyse kritisiert werden, die
per überaus schwammiger Borderline-Diagnose
über 90 Prozent aller Leute zu Irren erklären
könnte; aber dafür bleibt der Film viel zu sehr in
ausgetretenen Pfaden oder schweift in sterbenslangweilige
Diskussionen über Spiritualität und Selbstfindung
ab, die den ohnehin viel zu langen Film noch verlängern
- moderne Hollywoodregisseure kommen mit weniger als zwei
Stunden offenbar gar nicht mehr aus, haben dabei aber immer
weniger zu sagen.
Wer, um zum
Ende zu kommen, also schon einen guten Klapsenfilm wie
One Flew Over the Cuckoo's Nest kennt, kann sich
Girl, Interrupted ruhig sparen - auch wenn Jack
Nicholson nicht so hübsch wie Winona ist.
von
5 Sternen.
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