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Boys Don't Cry

-- ...your huddled masses yearning to breathe free... --

Szene aus Boys Don't Cry

Info über Boys Don't Cry (USA 1999)

Regie: Kimberly Peirce

Darsteller: Hilary Swank, Chloë Sevigny, Peter Sarsgaard, Brendan Sexton III, Alicia Goranson, Jeanetta Arnette

Inhalt: Ein Mädchen verkleidet sich als Junge und verliebt sich im tiefsten Nebraska in ein anderes Mädchen. Freunde und Verwandte schreiten zur Lynchjustiz.

Kritik: Es gibt Werke, bei denen jede Kritik und jeder Kommentar verstummen und jede Feder schweigen sollte, so leuchtend ist ihre Magie, so regenbogenfarbig schillernd ihr Anblick, so tief ihre Aussage. Aber zu Boys Don't Cry soll und darf nicht geschwiegen werden, denn viel zu wichtig ist, was dieser Film vermittelt: Toleranz und Achtung vor der Menschenwürde.

Ich habe diese Kritik, Kenner haben es bereits erkannt, mit einem Zitat eingeleitet, einem Zitat aus der Inschrift am Fuße der Freiheitsstatue, die beside the golden door die Einwanderer in der neuen Welt willkommen heißt. Immer wieder fragte ich mich im Kino, was aus diesen Worten, was aus diesem Land geworden ist. Was ist das für ein Land, in dem Kinder ab 16 Auto fahren, also sich und andere potentiell umbringen dürfen? Was ist das für ein Land, in dem viele mit 16 heiraten und mit 17 schon Kinder kriegen, also eine Familie gründen dürfen? Und was ist das für ein Land, in dem man dennoch - und drakonisch verfolgt - erst ab dem unglaublichen Alter von 21 Jahren seine erste legale Dose Billigbier zischen kann? Kimberly Peirce bringt mit ihrer sensiblen Regie, der in den Zeitrafferszenen zwar etwas prätentiösen, aber ansonsten hervorragend einfühlsamen Kamera und der passenden Country-Musik gefühlvoll die dunkelste amerikanische Provinz zum Leben, dort, wo die Straßen weit und die Gedanken eng sind, dort, wo in schummrigen Truck-Stop-Kneipen verfettete "Cowboys" ihre Kehle mit Bourbon und Bier ölen. Gefilmt ist das Ganze in wohltuend warmen, unaufdringlichen Tönen, fern des grellen Mainstreams und des stupiden Overactings.

Mittendrin: Hilary Swank als "Junge", erst 25 Jahre alt und dennoch eine Entdeckung, so hervorragend meistert sie selbst schwierigste und unangenehmste Passagen. Und dazwischen wird sie fast wirklich zu einem Jungen, zu Brandon Teena, einem vielleicht für einen Mann etwas zu feinfühligen Menschen, immer überzeugend, glaubwürdig und erschütternd realitätsnah. Teena Brandon/Brandon Teena kommt mit ihrem Leben nicht zurecht, weiß nicht, ob sie Mann oder Frau ist, klaut Autos... Zufällig lernt sie Lana aus der Provinz kennen und verliebt sich in sie. Lana ist Swanks wahrhaft kongeniale und auf wahnsinnig natürliche Weise attraktive Partnerin Chloë Sevigny. Sich allein den Namen dieser Indie-Schönheit auf der Zunge zergehen zu lassen ist schon mehr wert als zehn Jerry-Bruckheimer-Filme zusammen. Die Chemie zwischen den beiden ist so gut, so gelungen, so prickelnd, daß es Peirce mehr als einfach fällt, die Liebe Lanas und Brandons zueinander so genau beobachtend, erschütternd und bewegend nahezubringen, ohne jemals kitschig oder übertrieben zu sein, daß man ganz in der Atmosphäre des Films aufgeht und ein Teil von ihm wird.

So erleide ich körperliche Schmerzen, als Lanas Knastvögel-Freunde Brandons Tarnung aufdecken, sie zuerst aus dem Haus werfen und danach in einer ungewohnt heftigen Szene vergewaltigen. Zorn steigt auf, als Lanas Mutter Brandon verstößt und der feiste und perverse Polizei-Officer zwanghaft nachbohrt. Aber es gibt auch positive Beispiele: selbstlos nehmen Lanas Freundinnen Teena wieder auf, und noch einmal können die beiden zusammenkommen. Aber Teenas Kumpel sagte es bereits am Anfang des Films "Da knüpfen sie Schwule auf": die Knastbrüder kommen mit einer Pistole wieder, und so endet die wahre Geschichte der Teena Brandon in der Tragödie.

Am Ende, natürlich, in Texteinblendungen, was mit den wirklichen Menschen danach geschah: der Mörder in der Todeszelle, natürlich, Lana verläßt das Kaff, natürlich; aber, und das ist, was diesen Film auch nach seinem Ende noch kraftvoller, noch bewegender, noch eindrücklicher macht, "Sie brachte ein Kind zur Welt und kehrte nach Falls City zurück, um es dort aufzuziehen". Jede noch vorhandene Hoffnung, jede noch vermutete Wendung zu einem glücklichen Dasein Lanas bläst dieser Satz für immer weg, und zurück bleibt nur eine tiefe Erschütterung, der Wunsch nach der Abwendbarkeit des Schicksals und die inständige Hoffnung, es in unserem Land nie (mehr) so weit kommen zu lassen. Aber ich sehe so schwarz wie Boys Don't Cry.

****1/2 von 5 Sternen.

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