Kritik:
Zwar habe ich auch
die Einleitung zu American Beauty mit einer
Marlboro-Werbung begonnen, aber weil's so schön war
(man hielt mich sogar, hohoho, für einen Raucher)...
Golden taucht die Sonne das weite Land in warmes Licht.
Mittendrin eine Farm, nein, eine Ranch. Cowboys. Harte
Männer, eins mit ihren Pferden und der Natur. Ein
wildes Pferd bockt, läßt sich nicht zähmen,
schlägt aus. Die Männer versuchen, den Wildfang
mit ihren Lassos zu beugen, ihn zu fesseln; aber die Seile
sind zu trocken, das Pferd ist zu stark - die Stricke
reißen. Ein weiser, alter Cowboy, wettergegerbt sein
Gesicht und milde sein Blick, erkennt, daß hier die
alten Methoden nicht weiterhelfen und holt Hilfe heran: ein
Mann mit einem kernig-narbigen Gesicht und sicherem
Auftreten erscheint, und die Musik kommt zu einem Crescendo;
es ist der Marlboro-Mann, der Held aller verhinderten
Stadtindianer - gleich fühlt man sich im Kinosessel
sicherer. Diesen Mann kann nichts erschüttern. Rasch
erfaßt er die Lage und begibt sich dann festen
Schrittes zum wilden Tier.
Er tanzt.
Der Marlboro-Mann tanzt mit dem Pferd. Er fuchtelt mit den
Armen, macht komische Grimassen, einen Schritt vor und
wieder zurück, und, o Wunder, das Tier beruhigt sich,
wird handzahm, zum besten Freund des Mannes. Zufrieden nickt
der knorrige alte Cowboy. Wieder hat der grandiose
Pferdeflüsterer ein Wunder vollbracht. Das ist Marlboro
Country, und, es ist erstaunlich, wie sehr die Werbung mich
schon verdreht hat, sie schafft es, daß ich
tatsächlich emotional berührt bin: man glaubt es
kaum, mir läuft wirklich ein Schauer den
Rücken hinunter. Wenn selbst die Zigarettenwerbung von
den althergebrachten Lasso-und Machobildern wegkommen kann,
dann gibt es noch Hoffnung für die Welt, dann
könnte sogar der nun folgende Film gut
sein...
Ist er aber
leider - und damit kommen wir nun endlich zur Filmkritik -
nicht. Dabei hat Danny Boyle doch mit dem herrlichen
Trainspotting bereits bewiesen, daß er doch
eigentlich gute Filme machen kann. Und der unbekannte, aber
ganz hervorragende Kameramann Darius Khondji (Se7en)
ist doch sonst auch ein Garant für atemberaubende
Bilder. Aber was kommt raus?
Der Reihe
nach: DiCaprio in Thailand. Laut ist es und bunt und
farbig-lärmig. Viel Touristenpack. Das sind die Wunder
des umtriebigen Lebens im schwülen Südostasien.
Leo zeigt seine ausdefinierten Muskeln. Es fällt auf:
Bilder manchmal schön (hübscher Dschungel),
manchmal langweilig. Musik gut surreal. Kommentar aus dem
Off aufgeblasen und pseudo-selbstreflexiv-philosophisch. Leo
künstlich, unnuanciert und hölzern. Und das bleibt
den ganzen Film so. Der sterbende Robert Carlyle
übergibt ihm, storymäßig seltsam
zusammenhangs- und antriebslos, mit einem grotesken Akzent
und ebensolchem Overacting, eine Karte von einem
Traumstrand. Leo überzeugt seine Hotelzimmernachbarn,
zwei Franzosen mit einem schlimmen Akzent, den Trip zu
wagen. Warum geht er nicht allein? Natürlich hat er
sich in das Mädchen verliebt, von der
attraktiv-breitgesichtigen Virginie Ledoyen
uninteressant-platt dargestellt, natürlich ist ihr von
Guillaume Canet halbwegs passabel porträtierter Freund
sauer, natürlich kommen sie trotzdem zusammen,
natürlich ist das alles so vorhersehbar, so oft gesehen
und so sterbenslangweilig, daß man nur wegsehen kann.
Sie schwimmen also zur Insel (trotz der schönen
Landschaft hier eher eintönig gefilmt); Apocalypse
Now im Hanffeld. Sie erreichen die Aussteigerkolonie.
Die ist (und bleibt) genauso, wie man sie erwartet: (nur
ganz leicht) hippiemäßig angehauchte,
braungebrannte, muskulöse Bacardi-Menschen, schön,
jung, selbstversorgend, Ideale der freien Liebe
praktizierend, mit eigenen, dunklen Blutritualen... Sie
fischen gern oder betrachten ihren wirklich
überwältigend schönen (aber so uninteressiert
gefilmten) Strand. Dem passionierten Cineasten geht an
dieser Stelle auf, daß natürlich nicht alles gut
sein kann, sonst wäre der Film ja schon nach einer
halben Stunde zu Ende. Wo ist der Dr. Moreau oder der
Lord of the Flies dieser Insel?
Auftritt
Sal (Tilda Swinton). Kühl, groß, herb, unnahbar
und emotionslos-steif gespielt. Sie ist der Boß.
Warum? Halt so, und damit die Zuschauer ein Feindbild haben.
Ein sicheres Indiz dafür, daß sie böse sein
muß, ist ihre feine, leise, saubere, britische
Aussprache des Englischen. Für einen Amerikaner
muß diese ungewohnt ziselierte Verwendung ihres bei
ihnen kaugummimäßig mundfaul benutzten Idioms
schrecklich beängstigend sein. Natürlich
müssen Leo und die anderen Sal schwören, niemandem
etwas zu verraten, etc...
Leo lernt
die anderen kennen (die einzig interessante Figur: der
Kricket-begeisterte Schwarze Kasey), Leo liebt
Françoise (was für ein origineller Name), Sal
liebt Leo, Leo tötet einen Hai und lügt nachher
bei der Erzählung seiner Geschichte... Moment. Leo
lügt? Der Held der Geschichte, der
Sympathieträger, der king of the world
lügt? Eine neue Facette der Geschichte scheint sich zu
eröffnen, ein Held, der keiner ist... Sehen wir weiter:
Landausflug. Die Menschheit ist ein degeneriertes Partyvolk.
Leo gab die Karte weiter. Böser Leo. Seitensprung mit
Sal. Insulaner werden von Hai gebissen (gute Maske).
Böse Gemeinschaft legt Verwundete zum Sterben weit weg.
Aussage: Sündenfall. Menschen sind überall gleich.
Aussteigen bringt eh nix. All das vorgebracht mit der
Sensibilität eines Preßlufthammers. Böser
Leo muß die Insel vor neuen Abenteurern schützen.
Eifersuchtsdrama...
Leo hockt
im Wald, ärgert schlecht und kindisch spielend die
einheimischen Bauern und wird verrückt. Warum? Wird man
von dreiwöchiger Isolation im Wald verrückt? Geht man zum Zelten in den Wald und kommt verrückt wieder?
Bin ich vom Camping beim Bund denn verrückt geworden
(die Beantwortung dieser Frage lassen wir hier mal
außen vor...)? Obwohl das Durchknallen des
(Anti-)helden mal was erfrischend Anderes ist, bleibt doch
die Frage nach dem Grund. Man wird nicht einfach wegen einer läppischen ménage à
trois verrückt. Also fragt man sich unbeantwortet,
welche Dämonen um Gottes Willen den Leo dazu bringen,
halbnackt durch den Wald zu turnen, und warum Danny Boyle
diesen neuen, interessanten Ansatz so unverständlich
verhunzt. Die Neuankömmlinge werden also erschossen,
die Bauern sind sauer. Showdown und neuerlicher
Sündenfall (Stichwort: über Leichen gehen). Wie
erwartet endet die Idylle in der Katastrophe und dem Ende
der Gemeinschaft. Abspann.
Am Ende
bleiben einige Fragen: wer hat Danny Boyle dazu gebracht, so
einen klischeehaft-vorhersehbaren, die durchaus vorhandenen
Überraschungen und die Schauspieler nicht ausreizenden
Touristenfilm zu drehen? Wer hat Darius Khondji die Lust am
Filmen genommen? Warum hat man nicht einen begabten
Hauptdarsteller genommen? Und warum sind die fremdartigen
Asiaten wieder die Bösen? Ich weiß: die Welt
bleibt halt doch so, wie sie ist.
von
5 Sternen.
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